Japanische Kunst des Glücks
Während Schlichtheit und Unvollkommenheit wabi sabi als eine japanische Antwort auf skandinavische Einrichtungstrends betrachtet werden kann, ist es schwierig, ein Glücksrezept zu finden, das mit dänischem Hygge oder schwedischem Lagom konkurrieren könnte. Das japanische Rezept für ein Leben voller Frieden und Zufriedenheit ist ikigai – eine Philosophie, nach der die Einwohner von Okinawa, die ältesten Menschen der Welt, leben.
Ikigai – Bedeutung
Ikigai wird als die Freude und Essenz des Lebens definiert. “iki” ist das japanische Wort für “leben”, während “gai” wörtlich “Vernunft” bedeutet. Die ikigai-Philosophie wird als ein Motivationssystem beschrieben, das uns jeden Tag einfach Lust macht, aus dem Bett aufzustehen. Im engeren Sinne bezieht sich der Begriff auch auf bestimmte Aktivitäten oder Zustände, denen wir einen bedeutenden Wert zuschreiben, indem wir in unserem Leben und Handeln Sinn finden. Dabei kann es sich sowohl um alltägliche Kleinigkeiten als auch um große Pläne handeln, deren Verwirklichung uns völlig aufzehrt.
Arbeitssucht oder die Philosophie des Glücks? – Ikigai-Grundprinzipien
Eine der wichtigsten Säulen der japanischen Philosophie ist die Suche nach Tätigkeiten, die es uns erlauben, ganz in den Moment zu versinken, einen kreativen und spannenden Flow auszulösen. Verlierst du zufällig das Zeitgefühl, wenn du arbeitest, deine Freizeit genießt oder mit jemandem sprichst, der für dich wichtig ist? Wenn ja, dann hast du gerade deine Ikigaigefunden. Sein Wesen besteht darin, Freude und Sinn darin wahrzunehmen, was wir im Moment tun, ohne einen spektakulären Effekt, Erfolg oder die Begeisterung der Umwelt zu erwarten. Daher unter anderem die Tradition japanischer Rituale. Denn bei der Teezeremonie zählt nicht nur der Effekt der durchgeführten Tätigkeiten (d.h. der aromatische Aufguss), sondern vor allem ihre ruhige, sorgfältige Ausführung.
Ikigai betont auch den Wert jener Aktivitäten, die wir für uns selbst tun – Geschichten schreiben, die wir dann in eine Schublade stecken oder Bilder malen, die niemand sehen wird. Diese Einstellung hilft uns, uns selbst kennen zu lernen, unsere eigene Einzigartigkeit zu entdecken und zu akzeptieren, aber gleichzeitig setzt sie sich auch auf die Wahrnehmung der beruflichen Pflichten um. Laut ikigai sind sie nicht dazu gedacht, ein Mittel zur Erreichung finanzieller Ziele zu sein, sondern ein Selbstzweck. Japanische Handwerker können über Jahre hinweg die gleichen monotonen Tätigkeiten ausüben, ohne dabei Leidenschaft und Engagement zu verlieren. Wie ist das möglich? Die Antwort lautet ikigai – Konzentration auf die Freude am Tun und die ständige Verbesserung der eigenen Fähigkeiten. Auf diese Weise verstandene Arbeit hört auf, eine unangenehme Pflicht zu sein, sie wird zu einem Gut und Wert an sich. Ein Wert, der uns unser Hier und Jetzt schätzen lässt, uns auf die Gegenwart konzentrieren und jeden Tag mit Zufriedenheit erleben lässt.
Die Ikigai-Philosophie erlaubt uns, die berühmte japanische Arbeitssucht aus einer etwas anderen Perspektive zu betrachten. Während im idyllischen Okinawa oder in den japanischen Kleinstädten die Liebe zur Arbeit der Suche nach dem Glück wirklich zuträglich ist, nimmt sie in der Großstadtwelt von Tokio oder Yokohama leider unmenschliche, manchmal sehr gefährliche Formen an.
Was ist das Geheimnis eines glücklichen Lebens?
Das Leben der meisten von uns besteht nicht aus großen Ereignissen und spektakulären Erfolgen, sondern aus kleinen, einmaligen Erlebnissen. Wenn wir sie ernst nehmen, erlaubt uns die japanische Philosophie, Glück und Erfüllung im Alltag zu finden, so wie er ist – hier und jetzt. Neben der Arbeit an der Aufmerksamkeit und dem bewussten Erleben jeder noch so einfachen Tätigkeit legt ikigai Wert darauf, in Harmonie mit der Umwelt zu leben und positive Beziehungen zu den Menschen aufzubauen. Die ergriffenen Maßnahmen sollen nicht nur dem persönlichen Glück des Einzelnen, sondern auch der Stabilität der gesamten Gemeinschaft dienen.
Laut einer Studie, die von Wissenschaftlern der Tohoku-Universität in Sendai an einer Gruppe von mehr als 50.000 Einwohnern Osakas durchgeführt wurde, genießen Menschen, die ikigai in ihrem Leben finden, eine bessere Gesundheit, sind weniger gefährdet für Herz- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sind aktiver und zufriedener mit dem Leben. Vielleicht lohnt es sich, statt sich nach der guten alten Zeit zu sehnen und sich ständig um eine bessere Zukunft zu sorgen, sich auf die Erfahrungen des Alltags zu konzentrieren und darin seinen eigenen Weg zum Glück zu finden? Arbeitspflichten, eine Fahrradtour oder vielleicht eine Tasse Morgenkaffee? Weißt du schon, wo dein Ikigai versteckt ist?